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17. Januar 2017 Der 2. Fall

Der Dativ, und das wissen wir spätestens seit Bastian Sick, ist zwar dem Genitiv sein Tod. Dort, wo der zweite Fall seine Daseinsberechtigung aber noch nicht gänzlich an seinen Nachfolger abgegeben hat, macht sich seit einigen Jahren Unsicherheit im Gebrauch bemerkbar. Deklinationsfehler beim Genitiv äußern sich vielfach, nachfolgend die häufigsten.

Die Deklination von Nomen

Ob und wie ein Substantiv gebeugt (flektiert) wird, hängt davon ab, ob es zur starken, schwachen oder gemischten Deklination gehört. Die Zuordnung zu diesen Deklinationsklassen orientiert sich wiederum an den Endungen der Nomen im Genitiv Singular und Nominativ Plural. So weit, so gut. Wenn diese Nomen nun aber beginnen, Ihre Deklinationsendungen abzuwerfen, wie dies  R. Thieroff bereits für die schwach gebeugten maskulinen Substantive im Dativ und Akkusativ beschreibt, dann beginnt sich Verwirrung breit zu machen. Denn auch der Genitiv entledigt sich zunehmend und unter bestimmten Umständen seines Kasussuffixes (oder hätten Sie hier „seines Kasussuffix“ gesagt? S. dazu u. Exkurs).

Die Gabe des Menschens (statt: Menschen)
Die Funktion des Automatens / des Automates (statt: Automaten)
Die Dame des Herzes / des Herzens

Während im ersten Beispiel die Unsicherheit im Übergang von einer schwachen in eine starke Deklinationsklasse begründet liegt (den/dem Mensch statt den/dem Menschen; des Menschen; die Menschen), ist es im zweiten Beispiel das Hinzufügen eines s an das bereits vorhandene Genitivsuffix -en. Am dritten Beispiel ist nichts auszusetzen, auch wenn der Mediziner vermutlich von der Dame seines Herzes sprechen würde.

Der Genitiv nach Präpositionen

Vor allem in der Umgangssprache ist der richtige Gebrauch des Genitivs oft schwierig – besonders nach Präpositionen. So geht’s richtig:

angesichts des Andrangs
infolge des Orkans
wegen anhaltenden Regens
aufgrund schlechter Wetterverhältnisse
dank ihres Erscheinens
einschließlich einzelner Rücklagen

Dativ statt Genitiv

Wie eingangs bereits erwähnt, ersetzt der Dativ immer häufiger den Genitiv. Das passiert vor allem in den folgenden Szenarien:  

  • Es soll ein doppelter Genitiv vermieden werden.
  • Wegen Pluralbildung ist der Genitiv als solcher nicht zu erkennen.
  • Die genitivauslösende Präposition steht vor einem Substantiv, das weder einen Artikel noch ein Attribut mit sich führt.

laut dem Bericht des Ministers (statt: laut des Berichts des Ministers)
einschließlich Porto (statt: Portos)
trotz Glatteis (statt: Glatteises)
wegen Umbau geschlossen (statt: Umbaus)

Der Genitiv in der Umgangssprache

Aus oben genannten Gründen und weil vielen die Verwendung des Genitivs inzwischen zu gestelzt wirkt, ersetzen wir in der Umgangssprache den zweiten Fall heute also häufig entweder durch den Dativ oder durch Präpositionalkonstrukte.

das Erbe von meinem Großvater (besser: das Erbe meines Großvaters)
wegen dem großen Andrang (besser: wegen des großen Andrangs)
die Vereidigung von Präsident Trump (die Vereidigung Präsident Trumps)

Schlagzeilenjournalismus: der Sieg des Bastian Schweinsteiger

Klingt richtig? Ist aber leider falsch. Und zwar doppelt. Als starkes maskulines Substantiv braucht Herr Schweinsteiger ganz klar ein Genitiv-s. Und den Artikel darf es hier gar nicht geben, denn Personennamen ohne attributive Fügungen werden ohne Artikel gesetzt. Ergo: Der Sieg Bastian Schweinsteigers. Liest sich weniger pathetisch, ist aber umso korrekter. Ihnen fallen gerade „Die Leiden des jungen Werthers“ ein? Keine Sorge: Hier liegt Goethe völlig auf einer Linie mit der Grammatik durch die nähere Bestimmung mit dem Adjektivattribut „jungen“.

Exkurs zur Genitivendung auf -s oder -es

Am Rande bemerkt und dem Duden entnommen: Substantive, die auf -ss, -z oder -tz enden, bilden den Genitiv grundsätzlich auf die Endung -es, also des Hasses, des Glanzes, des Satzes, des Reflexes. Nur -s wird verwendet bei Substantiven, die auf -en, -em, -el, -er oder auch mit einer Verkleinerungssilbe enden, also etwa des Schwimmens, des Pegels, des Fahrers, des Büchleins, des Gärtchens.

Es bleibt festzuhalten: Wie bei vielen anderen sprachlichen Phänomen auch, zeigt sich im veränderten Sprachgebrauch des Genitivs, wie lebendig Sprache ist. Am Übergang von der Schrift- in die Umgangssprache und umgekehrt lassen sich solche Entwicklungen in ihrem Wandel ablesen. Und während die einen dem zweiten Kasus munter und bar besseren Wissens den Garaus machen, wundern sie sich vielleicht über die mitunter etwas gespreizt wirkende Aussprache ihrer Mitbürger. So lange der eine den anderen versteht, und das sei unbenommen, ist aber alles gut.

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