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20. Februar 2020 Ein virtuelles Comic-Museum für Erlangen oder: Wenn aus der Not eine Tugend wird

Fragt man Lisa Neun, was am aufwendigsten war, kommt ohne Zögern die Antwort: „Das Hängen der Bilder“. Dass zuvor mit der Gründung eines Vereins absolutes Neuland betreten wurde, darüber hinaus ein professionelles Projekt-Team zusammengestellt werden wollte und auch die Stadt Erlangen zur Unterstützung mit ins Boot, Verzeihung: mit ins Museum, geholt werden sollte, davon spricht die umtriebige Mitgründerin des ersten virtuellen Comic-Museums in Deutschland erst in den nachfolgenden Nebensätzen.

Doch blättern wir zurück zum Anfang.

Wie alles begann

Aus der Taufe gehoben wurde die Idee für das neue Museum am 22. September 2018. Ein Facebook-Eintrag zeugt von diesem denkwürdigen Moment.

Damals trafen sich die Comic-Fetischistin und selbst ernannte „Toonbloggerin“ Lisa Neun und der passionierte Erlanger Künstler und Comic-Zeichner Michael Jordan im legendären Gummi Wörner. Und stellten fest, dass die Zeit reif sei für ein Museum der 9. Kunst. Gerade in Erlangen schien das mehr als überfällig: Hotspot der deutschen Comic-Szene und Ausrichter des alle zwei Jahre stattfindenden Internationalen Comic-Salons, einer weit über die Landesgrenzen hinaus bekannten Veranstaltung …

Gesagt, getan. Einige Bierchen später an diesem langen Abend hatten die beiden die ersten Planungen für eine Umsetzung des neuen Museums festgezurrt.

Einen Verein zu gründen ist nicht schwer, Räume finden dagegen sehr …

Nachdem die Vereinsgründung von der Anmeldung über die Erstellung der Vereinssatzung bis zur Anerkennung der Gemeinnützigkeit über die Bühne gegangen und die ersten acht Mitglieder gefunden waren, zudem die Kulturförderung der Stadt finanzielle Unterstützung zugesagt hatte, machten sich die ambitionierten Gründer auf die Suche nach geeigneten Räumlichkeiten: Und fanden: nichts. ‒ Entmutigung? Weit gefehlt! Schnell zauberte man Plan B aus der Tasche. Dieser katapultierte das gerade noch analog gedachte Gebäude direkt ins Netz. Die Idee eines virtuellen, dreidimensional geplanten Museums nahm fix Gestalt an. Ab März 2019 arbeitete das vierköpfige Team ‒ allesamt nebenberuflich, aber mit Hochdruck ‒ an dem ambitionierten Projekt: Oswin Neumann (www.oswinart.com) zeichnete dabei für die künstlerische und architektonische Umsetzung verantwortlich, Marian Saeger von roadcrew.io kümmerte sich um die Programmierung, Ralf Marczinczik (comixfactory.de) und Lisa Neun hielten die Projektfäden zusammen. Mit großem Engagement entstand so in insgesamt knapp fünf Mannwochen das erste Internetmuseum für Comics (comic-museum.org) ‒ in dem heute zwanzig Künstler mit je sieben Bildern ausgestellt sind.

Die Architektur des Online-Museums

„Ein Museum, dass die Möglichkeiten des Internets von Beginn an so stark wie möglich nutzt, wäre natürlich toll gewesen“, sagt Lisa Neun. Denn der Reiz, nicht in Formaten denken und sich nicht auf die Beschränkungen von Papier begrenzen zu müssen, war unbestritten da. Lange diskutiert wurde auch die Idee, die Inhalte animiert und „durchklickbar“ umzusetzen. Aus Mangel an Zeit und bedingt durch das knappe Budget entschied man sich schließlich für ein klassisches Konzept. Wichtig war den Initiator*innen dabei, dass alle ausgewählten Künstler*innen ausreichend Platz für die Präsentation ihrer Werke bekommen. Das klappt in offenen, übersichtlich strukturierten und gut ausgeleuchteten Räumen am besten. Entstanden ist so ein eingeschossiges, helles und weites Raumkonzept, das allen Anforderungen Genüge trägt und das theoretisch durch unendlich viele weitere Raummodule erweiterbar ist. Geplant ist, hier künftig auch animierte Comics zu präsentieren.

Wir wollten das Museum auf jeden Fall barrierefrei und zunächst nur im Netz aufsetzen. Letzteres war aus der Not heraus geboren, einfach weil wir keine Räume hatten. Inzwischen bekommen wir aber so viel Zuspruch, dass sich das Ausweichen in die virtuelle Welt absolut gelohnt hat. Das gibt es ja sonst nirgendwo!

Aufgebaut wurde das Museum mit Unity, einer Spiel-Engine. In Einzelbildern präsentieren sich die Werke der verschiedenen Künstler an den langgestreckten Wänden. Und genau in den Einzelbildern steckte noch einmal jede Menge Arbeit. Denn alle Bilder liegen extra auf dem Server, sind aber miteinander verknüpft: Diese Verknüpfung hat einiges an Aufwand gekostet. Ebenso wie die Programmierung der Schnittstellen. Auch um die Bilder zu hängen, waren noch einmal eine bis eineinhalb Stunden pro Bild zu investieren. Wichtig war den Kurator*innen zudem, eine optimale Struktur und Zuordnung abzubilden, weshalb die jpgs jeweils nach den Räumen benannt sind, in denen sie „hängen“.

Wurde am Eröffnungstag während der Langen Nacht der Wissenschaften am 19. Oktober 2019 noch munter mit den Pfeiltasten der Tastatur navigiert, funktioniert die Navigation durch das Museum am Desktop-PC inzwischen ganz bequem per Mouse. Ein wenig Geduld und Fingerspitzengefühl braucht es zwar immer noch, um das Museum wieder zu verlassen, das sollte einem Besuch der virtuellen Ausstellung aber keinen Abbruch tun. Zum Rundgang geht es hier: comic-museum.org

Wie geht es weiter mit dem virtuellen Museum?

Natürlich visieren die Gründer*innen Neun und Jordan auch weiterhin echte Räumlichkeiten an. Und sei es, um dem inzwischen auf stolze 40 Mitglieder gewachsenen Verein eine Heimat und die Möglichkeit zum analogen Austausch zu geben. Am besten kombiniert mit der kleinen, aber feinen Möglichkeit einer wechselnden Ausstellung ausgewählter Werke und Sammlungen.
Bis zum nächsten Internationalen Comic-Salon in Erlangen (comic-salon.de: 11. bis 14. Juli 2020) wollen Lisa Neun und ihre Mitstreiter*innen zudem mit Virtual Reality an den Start gehen. Auch soll ein Museumsbesuch künftig auf Tablet und Smartphone möglich sein. Dass die umtriebige Neun und ihr Team auch diese Vorhaben mit viel Energie umsetzen werden, daran besteht kein Zweifel.

Wer sich für die Arbeit des Vereins oder eine Mitgliedschaft interessiert, wendet sich am besten direkt an Lisa Neun vom Comicmuseum Erlangen e. V. (comic-museum.org).

Was ist ein Webcomic?

Dass Webcomics Comics sind, „die vorrangig oder ausschließlich über das Internet publiziert werden“ (Wikipedia), ist unbestritten, sagt allerdings wenig über Inhalte und Machart aus. Entstanden ist das Genre jedenfalls parallel zum Siegeszug des Internets: So gab es ab Mitte der 1990er Jahre die ersten bekannten Webcomic-Publikationen (z. B. Argon Zark von Charley Parker) und immer mehr Comic-Zeichner betrieben ein eigenes Weblog. Was am Beginn zwingend zum Webcomic dazugehörte, trennt sich heute zunehmend: nämlich Technologie von Content. Heute ist die Szene zudem verstärkt auf Instagram unterwegs. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Begriff Webcomic unternimmt Lukas R. A. Wilde in seinem Beitrag „Gibt es eine Ästhetik des Webcomic?“, 2014 im Rahmen des Internationalen Comic-Salons erschienen.

Katharina Zeutschner

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