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27. September 2016 Hätte, hätte …

Noch 2004 vermerkte der Zwiebelfisch in seiner Kolumne, dass der Konjunktiv vom Aussterben bedroht sei. Davon kann heute keine Rede mehr sein – dafür aber leider von seiner häufig verfehlten Verwendung; in einem Literatur-Essay auch schon gerne einmal als „Wäre-hätte-sei-Gemisch“ bezeichnet. Dabei ist der Konjunktiv ein durchaus ernst zu nehmendes Phänomen der deutschen Grammatik, der Abwechslungsreichtum im tristen Grau der Fakten verspricht. Mit dem Konjunktiv drücken wir Wünsche und scheinbar Unmögliches aus und bedienen uns seiner in der so oft gebrauchten indirekten Rede.

Konjunktiv 1 und 2

Über zwei Konjunktivformen verfügt die deutsche Sprache, sie werden von der Präsens- bzw. Präteritumsform des Verbes abgeleitet: Konjunktiv Präsens = Konjunktiv 1 und Konjunktiv Präteritum = Konjunktiv 2. Bemerkenswert ist, dass im Unterschied zum Englischen die beiden Konjunktivformen im Deutschen keinen Zeitbezug haben, das heißt sie sind im Aussagesatz nicht abhängig von der Zeitform des Hauptsatzes. Wichtig anzumerken ist zudem, dass sie nicht ein und dieselbe Sache auf zwei Zeitstufen darstellen.

Die beiden Konjunktive im Einsatz

Konjunktiv 1

  • Der Konjunktiv 1 wird vor allem schriftsprachlich in der indirekten Rede verwendet: Herr M. erklärt verzückt, dass er einen Bestseller geschrieben habe.
  • Darüber hinaus drückt der Konjunktiv 1 ein Geschehen in Bezug auf die Wiedergabe durch einen Dritten aus:
    – bei Gleichzeitigkeit: Frau T. sagt: „Ich lese heute ein Buch.“ =>  Frau T. sagt, sie lese heute ein Buch.
    Frau T. sagte vorgestern: „Ich lese heute ein Buch.“ => Frau T. sagte vorgestern, dass sie ein Buch lese.
    – bei Vorzeitigkeit: Herr P. erzählt: „Ich war gestern im Wald.“ => Herr P. erzählt, dass er gestern im Wald gewesen sei.
    – bei Nachzeitigkeit: Susi erklärte: „Ich werde bald schreiben, lesen und rechnen können.“ =>  Susi erklärte, dass sie bald schreiben, lesen und rechnen könne.
  • Schließlich möchte der Konjunktiv auch bei Optionen und Wünschen (Es lebe die Vielfalt!), in alternativen Satzstellungen (Mögen dich die besten Wünsche begleiten!) oder als Aufforderungsform für die 3. P. Sg. (Man höre und staune!) Berücksichtigung finden.

Konjunktiv 2

Auf formaler Ebene ist der Konjunktiv 2 der sog. Optativ des Perfekts – und wird verwendet

  • als Ausdruck von etwas nur Vorgestelltem, Möglichem oder Irrealem:
    – im Konditionalsatz des Präteritums: Wenn ich Zeit hätte, käme ich.
    – im Konditionalsatz des Plusquamperfekts: Wenn sie gekommen wäre, hätte ich sie abgeholt.
    – bei irrealen Vergleichssätzen: Er tat so, als wäre er krank.
  • als Ersatz für Formen, die nicht eindeutig Konjunktiv 1 und daher missverständlich sind: Sie sagten, sie kämen (für: kommen) morgen. Sie merken, hier wird es schon kniffelig!
  • abweichend von der Grundregel – und getreu dem Motto: Die Ausnahme bestätigt die Regel! – anstelle heutiger Konjunktiv-1-Formen (s. o. indirekte Rede): Frau B. erklärte, sie hätte alles getan, was in ihrer Macht gestanden hätte.

Wenn ich es nicht besser wüsste …

Heute ersetzen wir veraltete Konjunktiv-2-Formen in der Umgangssprache schlicht durch eine Konstruktion aus würde + Infinitiv: Kein Mensch sagt heute mehr Ich hülfe dir! Auch in dem Fall, dass der Konjunktiv 2 mit der Form des Imperfekts übereinstimmt (was ziemlich häufig der Fall ist), ist die Umschreibung mit würde zulässig, um Missverständnisse zu vermeiden: Sonst wohnten wir hier nicht wird zu Sonst würden wir hier nicht wohnen. Zudem wird die Konstruktion aus würde + Infinitiv heute zur Kennzeichnung von etwas Zukünftigem, Noch-nicht-Begonnenem verwendet: Wenn ich morgen gehen würde, dann wäre es noch früh genug.

Übrigens: Die Metapher Hätte, hätte, Fahrradkette wird verwendet, wenn eine Entscheidung oder Entwicklung verfehlt wurde und nicht mehr rückgängig zu machen ist oder wenn schlicht Wunschvorstellungen am Werk sind. Der Konjunktiv dient hier dazu deutlich zu machen, dass es nicht lohnt, über vergangenes Verfehltes nachzusinnen oder nicht der Wirklichkeit entsprechende Gegebenheiten noch länger zu diskutieren. Ganz im Sinne von: Wenn das Wörtchen wenn nicht wäre, …

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